Von Holger Bunk

Forschungsbericht Wintersemester 2012/13
Tagebuch

    Vorbemerkung

    Dieser „Forschungsbericht“ gibt die Ereignisse eines guten halben Jahres wieder, insofern sie über die individuelle künstlerische Arbeit hinaus exemplarisch über den Atelierbetrieb eines Malers Auskunft geben können (mit anderen Worten: allzu Privates wurde weggelassen). Außenstehende, aber auch Studierende der künstlerischen Fächer können sich die Alltäglichkeit des Arbeitens nicht oder nicht gut vorstellen, weil sie von den Mythen und der image-mäßig gefärbten Version der Vorgänge der Kunstproduktion überstrahlt werden. In vielen Gesprächen mit Studierenden ist zu bemerken, dass als künstlerische Arbeit das eigentliche „Werk“ angesehen wird, weil es veröffentlicht wird, während die Recherche, die Herstellung von Kontexten, die organisatorische Arbeit mit ihren (gelegentlich zermürbend banalen Inhalten und Wiederholungen) übersehen wird. Was aber der tatsächliche Arbeitsanfall ist, was viel Zeit verbraucht, wo die inspirierenden neuen Informationen her kommen und wen man dafür braucht, wird vielleicht in der Aufzeichnung der hier protokollierten Tagesereignisse und in den dazu gemachten Fotos spürbar. Letztere sind ein Teil des „visuellen Tagebuches“, das ansonsten nicht für ein Publikum bestimmt, ständig anwächst und zusammen mit Zeitschriftenfotos und anderen aus dem Alltag gegriffenen Bild-Fundstücken Quelle von Bild-Ideen wird.

     

    Holger Bunk »Holger Bunk – Forschungsbericht 2012–2013« (2012)
    Forschungsbericht Holger Bunk 2012–13, Cover (Digitaldruck)

    Ziemlich abrupt und untypisch beginnen die Aufzeichnungen in Reykjavik, wo ich zum ersten Mal war; eingeladen zu einer Museumsausstellung, deren Termine vorgegeben waren, sodass ich nach nur kurzer Vorbereitungszeit Hals über Kopf ins Flugzeug stieg und mich dort zurecht finden musste:

    20.7.12
    In Helgi Thorgils Fridjonssons Atelier am Rand der Innenstadt von Reykjavik. Ein Privileg diese Menge von Bildern zu sehen. Hier müsste ich jetzt einen Aufsatz über seine Bilder schreiben. Der müsste seine Farben, den kultivierten differenzierten Strich in Beziehung zu seinen komplexen Motiven setzen. Das wird ein Buch, wenn man es gründlich machen will. Aber ich begreife intuitiv, dass Helgi eine große Bedeutung für mich bekommt, je mehr ich von ihm sehe. Sehr klug aufgebaute Bildräume mit dieser unter einer Naivität versteckten wunderbaren Beobachtungsgabe.

    21.7.12
    Helgi Thorgils Fridjonsson holt mich ab und will mir das Tal von Thingvellir, die älteste Thingstätte und damit den ältesten Ort eines Parlamentes zeigen. Auf dem Weg dahin kommen wir beim Pferdezüchter und Kunstsammler Gunnar Dungal vorbei, der zwar nicht zu Hause ist, aber seine Frau lässt uns herein und wir können das weitläufige Haus sehen, das voller guter Kunstwerke hängt. Besonders gute Ölbilder hat der Sammler von Odd Nerdrum, der eine phantastische Technik in der Ölmalerei besitzt. Die Themen der Bilder sind Selbstinszenierungen des Künstlers, altmeisterliche gemalte verrückte Szenen, die den Vorwand für Selbstporträts bieten. (Odd Nerdrum ist von Geburt Norweger, nahm die Isländische Nationalität an, als er hier lange lebte und scheint jetzt wieder in Norwegen zu sein.) Tolle leuchtende Farben und dicke Krusten heben sich von brauner toniger Malerei ab. Die Selbstporträts, die ich später im Katalog sehe haben was Unangenehmes und zwar nicht lediglich Schräges: Es geht in Richtung Dachschaden. Trotzdem bewundernswerte Maltechnik.
    Die Gattin des Sammlers ist Bildhauerin, wir dürfen ihr neu gebautes, aber überfülltes Atelier sehen in dem jede Menge von Arbeiten aus verschiedensten Materialien und Fundstücken stehen. Sie schenkt mir 2 Kataloge, aus denen ich sehen kann, dass sie mit Jessica Stockholder ausgestellt hat (in der Sammlung des Ehepaares Dungal hängt eine ungewöhnlich malerisch-bildhafte Arbeit von ihr.