Von Holger Bunk

Programmierter Raum
Katalogbeitrag zur Ausstellung im Museum Goch

Zu Bernhard Kahrmans Installationen

„Gefühlte“ aber nicht verwirklichte Raumqualitäten macht Bernhard Kahrmann schon in seinen ersten realisierten Arbeiten sichtbar. Er beginnt mit auffällig nöchternen künstlerischen Interventionen: „Raum“, 1998 in der stuttgarter Musikhochschule installiert, zeigte nichts anderes als Projektionen von Dias mit Details eben des Raumes, in dem man sich befand in zeitgeschalteter und komplex rhythmisierter Programmierung. Dies wirkte gleichzeitig als kritische Betrachtung der alltäglichen Umgebung und als ein Eingriff, der mit minimaler Abweichung vom Vorhandenen auskommt. Was sichtbar ist, aber doch regelmässig übersehen wird, wird zur Veränderung, Klärung und Erkenntnis eingesetzt. In später folgenden Konzeptionsskizzen und Ausstellungsprojekten weitet Kahrman seinen Aktionsradius auf urbane Situationen aus: Projektionen von Bildern und Zeichen auf Fassaden, modellhafte Architekturen in Kahrmanns Projektionsräumen zeigen, dass Innen– und Aussenraum als ineinander verschränkt begriffen werden. Zeitparallel zu den Auswirkungen eines “pictorial turn”, der möglichen Globalisierung von Ästhetik und unbegrenzt erscheinenden Verfügbarkeit von Bildinformation, arbeitet Kahrmann strategisch mit der neuen Durchlässigkeit von Innen und Aussen, von privatem und öffentlichen Raum.

Kahrmann sieht die gewaltigen Konsequenzen nicht ausschliesslich als Bedrohung, sondern nutzt die Auflösung alter Begrifflichkeiten und Kategorien durch Technik und Informationsströme für eine ebenso provisorische wie reiche Formenvielfalt. Das Ziel ist dabei, den Künstler als kompetenten Analytiker, Kommentator, Bewacher und Veränderer des Bestehenden zu etablieren. Konfrontiert mit der Entfremdung verplanter Stadtraum-Systeme reagiert dieser Typ des Künstlers mit Entwürfen und Modellen, die zeigen, wie Änderungen und Besserungen aussehen können.

Statt in ideologische Spekulation über Reform oder radikalen Bruch mit dem Bestehenden verwickelt zu werden, finden wir uns bei Kahrmann bereits in einem veränderten Raum mit neuen Elementen wieder. Dazu gehören projizierte Programmabfolgen, die uns verschiedene Möglichkeiten vorführen. Die Betretbarkeit, das Sich–aufhalten in zeitlich begrenzten Interventionen, Programmen und Versuchen bezieht den Betrachter ein in die Frage nach der Plausibilität verschiedenener „relativer“ Ikonographien in Bildzitaten, Text und Klangcollagen. Der Betrachter erlebt das Projektions- und Klangprogramm als zeitlichen Ablauf, inhaltlich willkommen oder störend, während der skulpturale Projektionsraum bestehen bleibt. Durch Gleichzeitigkeit von Projektion und Klang besitzen viele der Arbeiten Kahrmanns eine sehr suggestive, inhaltliche Ladung in dem Sinne, dass Berechnung, sogar Manipulation von Raumwirkung und -stimmung erlebbar wird (»Phases:Faces«, Stuttgart 1999; »getting nowhere«, Kunst Haus Dresden 2000; »Wenn die Lichter heller als die Sonne scheinen«, Galerie Reinhard Hauff, 2000; »living inside this play«, MiArt und Artforum Berlin 2001, WKV Stuttgart 2004).

Eine Flut von Effekten: Überblenden, Überstrahlen, Aufblitzen und „Beschuss“ mit Bildmotiven, Durchkreuzen oder Zerschneiden des Raumes mit purem Licht, der Rhythmus aus Erscheinen und geheimnisvollem Verschwinden von Bild und Licht dienen dazu, das räumliche Erlebnispotenzial offenzulegen. Die erfahrene Zeitspanne wird wie im Film als Führung durch emotionale Erlebnisse aufgebaut. Durch die freie Beweglichkeit und den möglichen Perspektivwechsel des Betrachters erlebt dieser sich bei Kahrmann im Vergleich zum Filmkonsumenten aber vergleichsweise bewusst in seiner Gefühlswandlung. Die eigene innere Mehrstimmigkeit wird als Abhängigkeit und Nachhall der vorgeführten Beeinflussung erkennbar. Kahrmanns Interventionen sind im Kunst- und Ausstellungsbetrieb angesiedelt, ihr Erkenntniswert kann Bedeutung darüber hinaus erhalten.