Über Holger Bunk

Georg Winter zur Ausstellungseröffnung
Kunstverein Arnsberg

Text (Sprechtext) zur Ausstellung von Holger Bunk am 13.Oktober 2002 im Kunstverein Arnsberg (Westfalen) von Georg Winter

Meine Damen, meine Herren,

wir sind hier im Kunstverein Arnsberg zusammengekommen um die Arbeiten von Holger Bunk zu sehen.

Zeichnungen – Wandzeichnungen – Pastelle

Zu erkennen sind einzelne Personen, männliche Protagonisten, die sich in räumlichen Verhältnissen aufhalten um Verrichtungen auszuüben. Sie zeigen etwas, sehen Gezeigtes, zeigen sich sehend (was wir hier im Grunde auch tun). Sie räumen sich und andere Körper oder Gegenstände ein, aus und auf. Andere scheinen sich um die Ausübung von Verrichtungen zu drücken, als sei es gleichgültig und unerheblich ob etwas getan oder gelassen wird.

„Wenn man hier auf der Mauer sitzt, kriegt man einen ganz anderen Eindruck“, bemerkt einer der beiden Männer, die, dem Betrachter der Zeichnung den Rücken zuwenden und auf einer Mauer nebeneinander sitzenbleiben. Hier merkt man , daß im Schauraum oder im Bilderlabor von Holger Bunk nicht etwa ein figürlicher Realismus etabliert wird, sondern gerade jeglicher Realismus in Frage gestellt wird und mit künstlerischen Mitteln zur Disposition gestellt wird. Holger Bunk laboriert mit einer realistischen Versuchsanordnung, Raum, Personen, Gegenstände, Interaktionen, an den existenziellen Grundfragen. Es sind Versuche zur ontologischen (das Sein betreffenden) Verortung der menschlichen Person, ein Ausloten der vielfältigen Spielmöglichkeiten, Verständigungsschwierigkeiten und Grenzen der menschlichen Bedingtheit. Die Arbeiten stellen Tätigkeits- und Wahrnehmungsfelder in Frage, wie Urbanismus, Architektur, Kunstproduktion, das alltägliche Leben. Es herrscht keine Sicherheit, über die Vorgänge der Wahrnehmung und die daran gekoppelten Handlungsformen.

Was ist realistisch, was wirklich?
  • Ein Mann geht über die Straße in der Stadt – realistisch
  • Und hängt seinen Gedanken nach – subjektive Wirklichkeit
  • Dabei rennt er mit dem Kopf auf einen Laternenpfahl – bittere Realität
  • Passanten sehen den Vorgang – realistisch
  • Er hält sich die Hand an den Kopf, spürt einen Schmerz, lässt sich nichts anmerken – subjektive Wirklichkeit …

Hier sei auch an den Hans-guck–in-die-Luft beim Struwwelpeter erinnert. Beim Verlassen konditionierte Wahrnehmungsvorgänge, statt horizontal auf einen Weg zu sehen sieht er vertikal in die Luft und fällt, nach den Vorstellungen bürgerlicher Wahrnehmungshygiene, zur Strafe in Wasser. Nicht abschweifen! Was ist jetzt der Unterschied zwischen Realität und Wirklichkeit? Die Realität könnte ein Konsens, eine Absprache sein miet einem objektiven Anspruch. Die Wirklichkeit hängt mehr von subjektiven Faktoren ab. Wirklich ist was wirkt. Deshalb möchte ich den realistischen Bereich der Arbeit von Holger Bunk als Metapher zur Herstellung eines Wirkstoffes für die Betrachterinnen und Betrachter sehen. Als reales Angebot zur Konstruktion einer Bildwirklichkeit, die über Wiedererkennung z.B. von Personen, von Räumen, als Einstieg in Bereiche führt, bei denen wir uns normalerweise den Kopf anstoßen oder ins Wasser fallen. Holger Bunk ist ein Scout, der uns einen Weg zeigt wie man die Realität oder was man dafür hält zu einer Wirklichkeit erweitern kann. Auf einer Zeichnung (schwarz/weiss) sind zwei Männer stehend vor einem Haus abgebildet. Einer sagt: „In anderer Farbe würde es noch besser wirken.“

Wenn wir die Figuren in Holger Bunks Arbeit in aufgelösten räumlichen oder urbane Strukturen, stoisch handeln oder harren sehen, kann man annehmen, daß ihnen die Auflösung des absoluten Raumes bekannt ist. Nach Einstein wurde die Überwindung des absoluten Raumes erst dadurch möglich, daß der Begriff des körperlichen Objektes als Fundamentalbegriff der Physik allmählich durch den des Feldes ersetzt wurde. Es gibt dann keinen leeren Raum, keinen Raum ohne Feld. Ein Feld bewegt und verändert sich. Dadurch entsteht Spannung. So kann es sein, daß der Raum den Holger Bunk seinen Handlungspartnern zuordnet, wissentlich Feld ist und daß die manchmal träge (träumend) scheinenden Aktivisten „räumen“ ohne zu handeln. „Räumen“ als Seinszustand der Personen, die sich in den Zustandsraum integrieren.

Dach, Mauer, Fenster und Tür sind in der Gegenwart nicht mehr operationell, was nach Flusser erklärt, warum wir beginnen uns unbehaust zu fühlen. Da wir nicht mehr gut zu Zelten und Höhlen zurückkehren können, müssen wir wohl oder übel neuartige Häuser entwerfen. Tatsächlich haben wir damit bereits begonnen. Das heile Haus mit Dach, Mauer, Fenster und Tür gibt es nur noch in Märchenbüchern. Materielle und immaterielle Kabel haben es wie einen Emmentaler durchlöchert: Auf dem Dach die Antenne, durch die Mauer der Telefondraht, statt Fenster das Fernsehen, das Internet, Statt Tür die Garage mit dem Auto. Durch die Öffnungen bläst der Wind der Kommunikation . Das Haus nicht mehr als künstliche Höhle, eher als Krümmung des Feldes der zwischenmenschlichen Relationen. Dort sieht man die Erde nicht mehr als geographischen Ort im Sonnensystem sondern als Krümmung im Gravitationsfeld der Sonne. So hat das neue Haus auszusehen, wie eine Krümmung im zwischenmenschlichen Feld, wohin Beziehungen angezogen werden.

Vor dem Modell eines Hauses sitzend, mit dem Rücken zum Fenster, welches den Ausblick auf den Neubau eröffnet, sagt der „Architekt“: „Das Modell hat mir viel besser gefallen“. Oder auf einer anderen Zeichnung: „Das sind völlig neue Materialien.“ Was könnten das für Materialien sein? Magnetfelder vielleicht? Die Wirkung von Magnetfeldern im interstellaren Raum besteht vor allem darin, daß sie bewegte, elektrisch geladene Partikel ablenken. Die ihrerseits wiederum Magnetfelder erzeugen. Doch auch auf den “leeren” nur von Schwerkraft durchdrungenen Raum können magnetische Felder eine Wirkung ausüben. Der Raum, der nach den Gesetzen der Einsteinschen Gravitationstheorie von der Materie gekrümmt wird, wird von Magnetfeldern teilweise wieder geglättet. Befindet sich ein Magnetfeld im gekrümmten Raum, so werden die Feldlinien gedreht, ihre Spannung erhöht sich. Dies wiederum wirkt der Raumkrümmung entgegen. Der von einem Magnetfeld erfüllte Raum wird gewissermaßen steifer, seine Krümmung verringert sich. Eine Auswirkung extraterrestrischer Magnetfelder führt zur Verdoppelung der magnetischen Pole, was mit erheblicher Beeinflussung der Satellitennavigation, der globalen Kommunikationsnetze, der Orientierung im Raum einher geht. Manchen Personen in Holger Bunks Räumen scheint das jetzt schon klar zu sein. Sie verhalten sich ruhig, sortieren sich mit ihren Gegenständen und Kombattanten. Es herrscht keine Aufregung. Eher ein Vakuum, ein leichter Unterdruck. Das Vakuum ist kein Ort, an dem nichts geschieht. Es zeigen sich dort zwei Phänomene wie der Casimir-Effekt, nach dem holländischen Physiker Hendrik Casimir (1948). Danach ziehen sich zwei in einem Vakuum befindliche Metallplatten an. Zwar nur schwach, aber doch merklich. Das hängt wiederum mit dem Erdmagnetismus und der Quantenphysik zusammen. Man nennt das Vakuumenergie. Den Casimir-Effekt vermute ich auch bei der Beobachtung der Raum- und Beziehungsfelder in Holger Bunks Arbeiten.

Anschließend sehe ich in der Arbeit Holger Bunks ein integres Forschen und Anschaulichmachen der Relativität, nicht der Realität menschlicher Erscheinungsformen.

Optische Täuschung, Daijl Charms (1934)
  • Semjon Semjonowitsch setzt die Brille auf, schaut zur Kiefer und sieht, daß auf der Kiefer ein Kerl sitzt und ihm die Faust zeigt.
  • Semjon Semjonowitsch nimmt die Brille ab, schaut zur Kiefer und sieht, daß auf der Kiefer niemand sitzt.
  • Semjon Semjonowitsch setzt die Brille auf und sieht, daß auf der Kiefer ein Kerl sitzt und ihm die Faust zeigt.
  • Semjon Semjonowitsch nimmt die Brille ab und sieht wieder, daß auf der Kiefer niemand sitzt.
  • Semjon Semjonowitsch setzt die Brille wieder auf, schaut zur Kiefer und sieht wieder, daß auf der Kiefer ein Kerl sitzt und ihm die Faust zeigt.
  • Semjon Semjonowitsch will an diese Erscheinung nicht glauben und hält diese Erscheinung für eine optische Täuschung.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bleiben Sie realistisch. Wirklich!