Von Holger Bunk

Begegnung mit Rolf Ricke
E-Mail-Korrespondenz mit Holger Bunk

Erinnern Sie sich, wie Sie Rolf Ricke kennengelernt haben?

HB: Wenn ich die Erinnerung an die erste Begegnung mit Rolf Ricke im Jahr 1982 beschreibe, muss ich zunächst etwas über mich selbst zu diesem Zeitpunkt sagen. Noch unsicher wie nachhaltig erste bescheidene Erfolge sein würden, traute ich mich nicht, erstes verdientes Geld in etwas anderes zu investieren als die eigene Malerei. Ich stellte mir deshalb und angesichts seines Renommées allen Ernstes die Frage, ob ich ihm bei unserem ersten Treffen in meinem studentischen Billig–Outfit, geschenkten Kleidungsstücken, die noch für´s Malen taugen und unsäglichen DDR–Accessoires, die ich aus den Päckchen von Verwandten hatte, gegenübertreten konnte. Rolf hatte sich telefonisch in meinem Atelier angemeldet, das damals noch mit meiner Wohnung in Düsseldorf identisch war. Es war dann glücklicherweise ein so heisser Tag im Frühsommer 1982, dass man sowieso nur ein T-Shirt tragen konnte. Ich hatte mich für mein bestes entschieden: quergestreift, weiss–marineblau. Und als Rolf Ricke die Treppe in den ersten Stock zu mir heraufkam, war das ein denkwürdiges Bild. In einem ähnlichen weiss–blau gestreiften, allerdings eleganteren T-Shirt kam er zu diesem Atelierbesuch. Ich nahm das als gutes Zeichen und mit dem Gefühl, dass solche unausgesprochenen Übereinstimmungen vorhanden waren, gingen wir in meinen vollgestopften Lagerraum Bild für Bild durch. Rolf wollte alles sehen und fand offensichtlich nicht nur Gefallen an dem Überfluss an Bildzitaten und Anspielungen in meiner unaufhörlichen Bilderproduktion. Unserem Gespräch entnahm ich: Gerade das, was anderen an meinen Bildern »zu schräg« war und die Tatsache, dass man mich damit kaum in einer Kategorie unterbringen konnte, erschien ihm interessant. Ausserdem war er begeistert, eine zusammenhängende mehrjährige Bilderproduktion im Atelier vorzufinden und wollte die Entwicklung verstehen. Erst als er mir später die anderen Künstler der Galerie nannte und eine Kurzfassung der Geschichte seiner Galerie gab, fing ich an zu begreifen, dass er wirklich bereit war, mit meinen Arbeiten einen neuen »Sound« in die Galerie hereinzulassen, und dass sich durch dieses neue Umfeld eine riesige Chance für mich auftun würde. Was ich noch nicht wissen konnte war, dass Rolf in meinen Ausstellungen – und zwar nicht nur in seinen Galerieräumen – für meine Position Partei ergreifen würde. Oft reiste er über weite Strecken zu meinen Eröffnungen an, diskutierte mit Ausstellungsbesuchern und versuchte, ihnen die Arbeiten verständlich zu machen.

Was für eine »mehrjährige, zusammenhängende Bildproduktion« konnte Rolf Ricke in Ihrem Atelier anschauen. Woran hatten Sie gearbeitet?

HB: In meinen Bildern hatte sich in dieser Zeit ein Thema herausgebildet und stabilisiert: die Suche nach einer Möglichkeit, keinen Unterschied zwischen abgebildetem Realem und abgebildeten Bild zu machen (Malerei nach direkter Beobachtung und populären Fotovorlagen, Werbung, Zeitungsfotos). Der Zusammenhang und sogar die Verschränkung der abgebildeten und der von mir als Maler individuell gesehenen visuellen Welt sollte sichtbar werden. Mich beschäftigte schon vor dem Einzug der Elektronik in alle Bereiche des Lebens die Frage nach dem Einfluss, die die großstädtische, mediale Welt auf das unmittelbare Sehen und das emotionale Verhalten hat. (Eine meiner frühen Kindheitserinnerungen ist eine Häuserwand mit einer Werbemalerei von zwei lachenden Autos: Autos lieben Shell). Es gab große Papierarbeiten (Mischtechnik, Pastell, Acryl- oder Dispersionsfarbe) mit Themen wie Teenagerparty oder Graf Porno. Ausserdem Malereien wie eine Prügelszene zwischen zwei Rivalen um ein Mädchen Auslese durch Zuchtwahl, das eine Zeitlang im Ratinger Hof als Bühnendekoration für Rock- und Punkbands hing oder Frankfurter Opernball (nach einem FAZ-Foto) und zahlreiche Autobilder in Tempera auf Nessel, das waren Blicke aus meinem Atelierfenster, die meinen Fensterbildern vorausgingen.

Hatten Sie diese vorher schon ausgestellt?

HB: Es gab keinen großen zeitlichen Abstand zwischen den Ausstellungen bei Traudel Näke in Nürnberg 1979, die eine Galerie neben ihrem Trödelladen betrieb, und zwei spektakulären Hammerausstellungen bei Felix Handschin in Basel 1979 und 1981. Dort lernte ich Dieter Roth, Jean Tinguely, Bernhard Luginbühl, Jürgen Klauke, Sigmar Polke und viele Schweizer Künstler kennen.

Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit Rolf Ricke charakterisieren?

HB: Lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass es wenige Orte gab, wo ich so freundlich empfangen wurde wie wenn ich seine Galerie besuchte, obwohl dort oft große Hektik herrschte und uns jede Menge Besucher und Telefonate in die Quere kamen, wenn wir uns unterhalten wollten. Diese Freundlichkeit war eine Konstante, während sich zugleich die Dinge in der Galerie unmerklich aber immer deutlicher und letztlich sogar rasant änderten. Als ich 1982 bei Ricke »einstieg«, wohnte er noch direkt neben den Galerieräumen in der Volksgartenstrasse und das Büro der Galerie war so klein, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, dass hier alle Aktivitäten der Galerie zusammenliefen. Später gab es einen Umbau: die Galerieräume waren danach doppelt so groß und praktischer, es gab eine feste Angestellte in der Galerie, Marion Klein, mit der ich immer gut auskam. Rolf war gelegentlich länger verreist: Wenn er wieder kam brachte er neue Namen und Kontakte aus den USA mit oder Arbeiten von Künstlern aus der frühen Zeit seiner Galerie, von denen er viele als erster nach Europa gebracht und die er wieder besucht hatte.

Rolf und ich hatten uns entschlossen, meinen Ausstellungen Titel zu geben, die einem Motto gleichkamen: »Neugier«, in der eine Reihe von großformatigen Bildern zu sehen war, und etwas kryptischer »Moderne Liebe«, in der eine Inszenierung von Bildern und plastischen Elementen den Galerieraum füllte. Die Ausstellungen wurden in der Regel von sehr vielen Künstlern, Galeristen und Museumsleuten gesehen und brachten wie selbstverständlich neue Kontakte und Möglichkeiten. »Neugier« lief damals parallel zur art cologne, und Kasper und Walther König sahen sie. Pablo Stähli vermittelte mir einen Aufenthalt in einem Atelierhaus in Zürich, nachdem wir in der Ausstellung miteinander gesprochen hatten. Aufmerksamkeit und Presse waren für meine Ausstellungen in der Galerie so gut wie sicher. Viel unberechenbarer war, ob auch die Sammler immer mitziehen würden. Das kostete den unermüdlich tätigen Rolf Ricke eine Menge Arbeit, und wenn er gelegentlich von den langwierigen Unterhandlungen mit Interessenten erzählte, dann wurde deutlich, dass sich nicht alle Sammler automatisch mit einer figurativen, mit realistischen Elementen arbeitenden Position identifizieren konnten. Manchmal wurde gesagt, dass ich eine Art singuläre Position im Galerieprogramm hätte. Rolf Ricke interessierte sich aber nun mal nicht für Kunstwerke, die sich ohne Kenntnis ihres Kontextes wie von selbst verkaufen. Er wollte mit seinen Ausstellungen vielmehr neue Entwicklungen und neue Sichtweisen vermitteln und gab dies auch an seine Sammler weiter. Und wenn er wieder einmal auf den bequemeren Weg und damit auf Umsatz verzichtet hatte, gab es Stimmen, die sagten, das könne sich ein Ausstellungsmacher oder Kunsthallendirektor leisten, aber kein Galerist. Ich selbst habe seine Haltung tatsächlich so verstanden, dass es nicht darum geht, mit künstlerischen Positionen zu arbeiten, die schon funktionieren und risikolos mehrheitsfähig sind. Rolf Ricke wollte letzlich selbst und gegenüber vielen Kollegen unabhängig definieren, wie er eine Galerie und seine Arbeit versteht. Insofern tragen wir noch immer sehr ähnliche T-Shirts.

Manche Leute versuchten, Rolf Ricke das Eingeständnis zu entlocken, dass meine figurativ-gegenständliche Position in seinem Programm recht isoliert sein müsse. Es hat mich immer stolz gemacht, dass er geantwortet hat, für ihn bestehe überhaupt kein Unterschied zu anderen Künstlerpositionen in der Galerie, weil der Hauptaspekt die künstlerische Qualität sei. Ich glaube, dass er mich mit meiner in allen Ausstellungen durchgängigen Strategie unterstützen wollte: Den Zugang durch einen gegenständlichen Einstieg ins Bild einfach zu machen, um dann beim zweiten und weiteren Blicken die Fragen der Malerei und Kunst aufzuwerfen. Und zwar ohne vorgefertigte Antworten parat zu haben. Es ging immer darum, von einer alltäglich oder poetisch leicht zugänglichen Formulierung zu der Bedeutungsebene und zu philosophischeren Fragen, von der Beobachtung zur Gedanklichkeit zu kommen. Anschauung kann so zu Konsequenzen auffordern.

Könnten Sie Ihre Ausstellungen »Neugier« und »Moderne Liebe« noch etwas näher beschreiben? Was waren Ihre Intentionen?

HB: In den Ausstellungen »Neugier« und »Moderne Liebe« gab Rolf Ricke mir die Möglichkeit, über das einzelne Bild hinaus eine Inszenierung in seinen Räumen zu schaffen. Ziel war das Arbeiten in Bildzusammenhängen. Eine Art barocke Idee, in der das Bildprogramm des mit meinen Bildern gefüllten Raumes viele Aspekte bringt, die sich gegenseitig kommentieren und qualitativ steigern. Das war ein weitergehendes Konzept als die additive Hängung von Ware in der Galerie vorzunehmen. Dadurch dass Rolf Ricke mir den Raum anvertraute und mich beriet, gelang uns in beiden Ausstellungen etwas wie eine neue poetische Verdichtung durch die Verbindung von historischen Malereithemen und der Gegenwart. Ich weiss nicht, ob man mit einer Rekonstruktion derselben Anordnungen noch einmal den Nerv der Szene so treffen könnte, wie es damals gelang.

Inwieweit waren Sie damals in das Kunstgeschehen eingebunden?

HB: Ich hatte durch die Verbindung mit Alfonso Hüppi und Felix Handschin Kontakt mit einer Kunst- und Sammlerszene in Basel und darüber hinaus bekommen, die für mich eine ganz andere, sehr informierte und mondäne Welt bedeutete. Ich wurde als Nachwuchskünstler dort früh anerkannt, während ich in Düsseldorf lediglich als Student galt. Nur wenige Leute ahnten etwas von diesem »Doppelleben«. Ich habe dieses Spiel bewusst und gerne mitgespielt, weil ich aufgrund der wirklich tollen Erfolge auf der einen Seite in meinem alltäglicheren Leben nicht überschnappen wollte.

Und wie war Ihr Verhältnis zur Kunstwelt in den 1990er Jahren?

HB: In den 1990er Jahren war ich ja keine »Entdeckung« mehr, und es war nicht mehr das sexyste Ding auf der Welt, ein deutscher Maler zu sein. Ich konnte im Atelier damit gut umgehen, weil dort nichts stagnierte. Stagnation war dagegen in der Museumswelt, in den Ausstellungen und in Sammlungen zu spüren. So wurde meine umfangreiche Ausstellung »Labor der Bilder« vom Ulmer Museum vielen Institutionen angeboten, aber keine übernahm sie. Ich bekam eine Professur in Stuttgart und einen Wirkungskreis, der bis heute zum Spannendsten gehört, was ich mir vorstellen kann. Der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Positionen in der Galerie ist eine in der Hochschule und mit den nachfolgenden Generationen gefolgt. Der Ausstellungsbetrieb nimmt dies kaum wahr, aber letztlich lebt er von den jungen Künstlern, die dort in Zusammenarbeit mit den älteren Künstlern Neues entwickeln.


Der Text basiert auf einer E-Mail-Korrespondenz mit Holger Bunk